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Jürgen von Rahden

Von 1978 bis 1985 war Jürgen von Rahden deutscher Schulleiter an der Deutschen Schule Rio de Janeiro. Knapp zwanzig Jahre nach seiner Rückkehr nach Deutschland statte er der Schule im Oktober 2014 einen Besuch ab. Wir nutzten die Gelegenheit, mit ihm ein Gespräch zu führen und einige Fragen zu stellen. Seine Erinnerungen helfen weitere wichtige Momente der Schulgeschichte zu rekonstruieren.   

Bei einem Rundgang durch die Schule erweckte insbesondere ein von Schülern gestaltetes Gemälde von Dorival Caymmi Herrn von Rahdens Aufmerksamkeit. Die Ähnlichkeit ist in der Tat verblüffend.

Herr von Rahden, können Sie uns etwas über ihren beruflichen Werdegang erzählen und wie es zu der Entscheidung kam, nach Brasilien zu gehen?

Ich komme aus Hamburg und habe dort schon eine lange Zeit als Gymnasiallehrer gearbeitet, für die Fächer Französisch und Deutsch. Dann war ich eine ganze Weile Seminarleiter für Studienreferendare. Das war auch eine wichtige Voraussetzung, um sich später auf eine Schulleiter-Stelle im Ausland zu bewerben, weil man dafür schon eine gewisse Berufserfahrung mitbringen musste. Aber den Wunsch, ins Ausland zu gehen, pflegte ich schon lange. Im Hamburg liegt das nahe, da gibt es viele Auslandsbeziehungen. Schließlich erfuhr ich von der Ausschreibung einer Schulleiter-Stelle in Rio und habe mich beworben. Meine Frau ist in Rio de Janeiro geboren und später in Portugal aufgewachsen. Das war ideal. Ich selber konnte schon ganz gut Portugiesisch, die Kinder waren mit Portugiesisch groß geworden. Aber so leicht war es natürlich nicht. Es gab zwölf Bewerber. Ich hatte das Glück vom Schulvorstand ausgewählt zu werden. Dann ging alles seinen Gang.

Erinnern Sie sich an Ihre Ankunft in Rio de Janeiro?

Anfang 1978 sind wir noch mit dem Schiff hier her geschippert. 15 Tage lang. Und dann lag das Schiff eine Nacht lang vor Cabo Frio, um passend zum Sonnenaufgang am Zuckerhut vorbeizufahren. Wir wurden alle geweckt, die Sonne ging auf und man hörte nur ein großes „Ahhh“. Am Praça Mauá wurden wir von den Schulvertretern in Empfang genommen.

Haben Sie sich schnell eingelebt?

Ich war zwar zuvor nie in Brasilien, konnte aber schon einigermaßen gut Portugiesisch. Das war ein großer Vorteil. Das war etwas Neues, dass der deutsche Schulleiter Portugiesisch sprach und eine Frau hatte, die Carioca war. Es ergab sich dadurch eine schöne mentale Verknüpfung zwischen Deutschland und Brasilien und es kam schnell zu einer sehr schönen Integration.

Wie haben Sie die Schule vorgefunden, können Sie etwas auf die Ausgangssituation in der Schule eingehen?

Die Schule war in großen Schwierigkeiten. Sie stand finanziell wirklich sehr schlecht da. Und das wurde durch die Umstände auch erst einmal noch schlimmer: Streiks, Deckelung der Schulgelder durch die Autoritäten hier in Rio, Inflation und dadurch auch die Entwertung der Zuschüsse aus Deutschland, Schülerschwund. Und wir sollten plötzlich keine brasilianische Grundschule mehr haben. Zudem hatte die Schule noch keine anerkannten Prüfungen, bis auf eine, die damals Schlussprüfung hieß, der Sekundarstufen I Abschluss.

Auch was das Gebäude angeht, gab es viele Baustellen. Wir wussten noch nicht einmal, ob wir in dem Gebäude bleiben durften, denn die Stadt Rio hatte ein Vorkaufsrecht auf das Grundstück und war gar nicht abgeneigt, davon Gebrauch zu machen. Das ist dann aber - Gott sei Dank - an Geldmangel auf der brasilianischen Seite gescheitert. Später hat die Bundesregierung das Eigentum auf den Schulverein umgeschrieben. Denn die Schule war ja bis dato noch Bundesbesitz.

Im Laufe der Zeit wurde dann alles peu à peu mit den brasilianischen Bestimmungen in Einklang gebracht.

Wir gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der brasilianischen Schulleitung?

Ich hatte das große Glück, dass ich Margret Möller als Mitschulleiterin hatte, nicht gleich von Anfang an, aber bald. Margret, die Lehrerein an der Schule war, war von der Schulgründung an mit dabei gewesen. Sie hatte einen ungeheuren Fundus an Erfahrungen und kannte natürlich die richtigen Mittel und Wege auf brasilianischer Seite. Sie hat dann, wenn man das so sagen darf, die Sanierung der Schule in brasilianische Richtung betrieben und ich in die deutsche Richtung.

Wie hat sich die Schule in dieser Zeit entwickelt?

Die Schule wuchs sozusagen von Grund auf heran. Aber dann hatte die deutsche Seite irgendwann die merkwürdige Idee: da stecken wir zu viel Geld rein und wissen nicht, was daraus wird. Wir schöpfen lieber begabte Schüler ab, die auf einer fortgeschrittenen Stufe schon unter Beweise gestellt haben, dass sie einer bilingualen Schule auch gewachsen sind. Und man hat ein Riesenprogramm für den Sekundarstufeneinstieg aufgelegt. In der Sekundarstufe I sollten die Schüler Deutsch lernen und ihre Schullaufbahn hier weiterführen. Das hat überhaupt nicht geklappt, weil die brasilianischen Eltern hier Kinder in anderen Schulen wohl untergebracht hatten. Aber wir durften in der Primarstufe keine Schüler mehr aufnehmen.

Dann kam aber ein Dekret von brasilianischen Seite, dass es keine Schule geben sollte ohne Primarstufe, auch nicht an den ausländischen Schulen und so mussten wir, sehr zu unserer Genugtuung, die Primarstufe wieder aufbauen. Es hat natürlich ein bisschen gedauert bis die wieder stand. Das hat in gewisser Weise die Schule gerettet. Da kam der Zustrom der Brasilianer wieder. Denn es gab immer weniger Deutsche, die ins Ausland geschickt wurden, aus finanziellen Gründen. Und wenn, dann nach São Paulo eher als nach Rio de Janeiro. Zugespitzt kann man sagen, dann haben die Brasilianer die Schule gerettet. Sie haben ihr wieder die Substanz gegeben, dass sie auch im deutschen Zweig bis zum Abitur aufwachsen konnte. Das Überleben und der Vollausbau der Schule gingen im Wesentlichen damit einher, dass sich die Schule auch im brasilianischen Umfeld so gut etablieren konnte.

Dadurch, dass die Schule anerkannte Abschlüsse bekam, wurde der ganze Unterricht viel stärker durchstrukturiert. Der Unterricht musste prüfungskonform werden und dafür mussten die Programme und Lehrpläne aus Brasilien und Deutschland kontrolliert und im Unterricht realisiert werden. Ich will damit nicht sagen, dass, wie zuvor unterrichtet worden war, schlecht war. Ganz und gar nicht. Aber jetzt wurde es belegbar. Man konnte vorzeigen, das ist unser Programm und man konnte den Eltern dadurch klarer machen, was die Kinder an der Schule erwarten würde.

Hier nebenan gab es noch eine Garage und die beiden zwölften Klassen wurden in den Garagen untergebracht. Der erste Anbau, der zu meiner Zeit erstellt wurde, ist der Anbau der zum Kulturzentrum CCC führt, damals allerdings zweistöckig. Der wurde später noch einmal aufgestockt. Das war das erste eigentliche Schulgebäude. Die Schülerzahl wuchs in dieser Zeit von circa 450 auf 750. Das war fast eine Verdoppelung. Da war abzusehen, dass die Schule den Wachstumsweg nachhaltig beschritten hatte.

Was zeichnete für Sie die Deutsche Schule Rio de Janeiro aus?

Die Schule war schon immer eine feierfreudige Schule und legte von jeher viel Wert auf musische Aktivitäten. Das war schon seit der Schulgründung durch Helle Tirler, eine Musiklehrerin, so. Und das ist auch dadurch dokumentiert, dass eine wunderschöne Schallplatte aufgenommen wurde: A Escola Corcovado canta, canta, canta (Link zur Musik).

In der Zeit, in der ich an der Schule war, hat der damaliger deutsche Musiklehrer zwei große Musical-Aufführungen mit den Schülern einstudiert. Das war damals auch über die Schule hinaus ein Ereignis. Die Schule war vorher relativ klein und wuchs und blühte jetzt in jeder Hinsicht und das machte sich eben auch sehr im Schulleben außerhalb des Unterrichts bemerkbar.

Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr nach Deutschland gemacht?

Ich bin noch einmal kurz an eine Schule, habe dann aber aufbauend auf meine Erfahrung eine neue Richtung eingeschlagen: ich wurde Auslandsreferent in der Hamburger Schulbehörde und als solcher auch Mitglied des Auslandsschulausschlusses, wie er damals hieß, des Kultusministeriums. Ich habe bei Schulinspektionen und als Prüfungsbeauftragter noch viele weitere Auslandsschulen in der ganzen Welt kennengelernt.

Welche Unterschiede beziehungsweise Gemeinsamkeiten konnten Sie zwischen den Auslandsschulen ausmachen?

Es ist schwer, einen Vergleich anzustellen. Die Einwirkungen der jeweiligen Gastländer sind jeweils sehr unterschiedlich. Aber was macht eigentlich das Wesen und die Zielsetzung der deutschen Schulen und der deutschsprachigen Schulen im Ausland aus? Ich habe es immer so empfunden, dass sich die deutschen Schulen, im Vergleich zu französischen, englischen amerikanischen Schulen, zu denen ich auch immer wieder Kontakt hatte, im Sinne des Begegnungsgedankens sehr viel mehr für die Gastländer öffnen. Die Deutschen Schulen haben alle - auch wenn sie nur für deutsche Schüler sind - eine große Bemühung entwickelt, dem Gastland gerecht zu werden. Ein zweiter Punkt ist eine immer sehr starke musische Komponente. Die dritte Komponente ist das Bemühen um eine starke Interaktion zwischen Lehrern, Eltern und Schülern. Also so etwas wie Schülermitverwaltung oder Elternbeiräte. Das gibt es in anderen Auslandsschulen jetzt vielleicht auch. Aber die deutschen Auslandsschulen waren da immer eine ziemliche Avantgarde.

Eine Auslandsschule ist immer auch ein Kristallisationspunkt. Sie sammelt sehr ihre Mitglieder. Ich frage mich, wie das geht, wenn die Schule so groß wird, wie auch die DS Rio de Janeiro, denn das Ganze hängt ja auch von der Überschaubarkeit ab. Wahrscheinlich muss man Unterstrukturen bilden. Die Schule mit einem gewissen Geist zu erfüllen, der sie ganz durchdringt, dass ist heute schwerer. Damals war es, etwas euphemistisch gesagt, eine Familie. Heute ist die Schule fast schon ein Großbetrieb. Jetzt dazwischen einen Weg zu finden, das ist für die heutigen Lehrer und Schulleitung eine große Herausforderung.

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